Einer, der nicht "Nein" sagen kann.

Selbstbekenntnisse

von

Ambrosius Hampel

Diese kurze Geschichte zeigt, dass auch ein gewesener Gefreiter noch sofort gehorcht, wenn ein Offizier einen Befehl erteilt. In gewisser Weise ist das eine Vorahnung des Hauptmanns von Köpenick.

Der Autor, eine Zeitung lesend

 

 

[So] einer bin ich. Ich muß alle betagten Damen nach Hause bringen, die am weitesten wohnen und vor denen sich alle anderen Herren fürchten. Ich habe keinen moralischen Muth und verpumpe regelmäßig die Hälfte meiner Renten. Ich habe drei Häuser, aber nicht drei Miether, die pünktlich zahlen. Dies zu meiner Characteristik. Neulich wollt‘ ich mich rasiren lassen und betrat den Laden eines Barbiers beim Schlesischen Bahnhof.  Der Inhaber desselben war nicht zugegen, ich setzte mich geduldig hin und las die Tante von voriger Woche.

 

 

Da stürmte ein älterer Offizier herein und befahl barsch: „Haar schneiden! Schnell! Kein Wort! Bin kein Freund von vielen Worten. Zehn Minuten Zeit! Muß mit dem nächsten Zug fort! Zum Manöver! Wird’s bald!“ Dabei saß er schon vor dem Spiegel und band sich in aller Hast selbst die Serviette um.

Ein Offizier betritt forsch den Barbier-Laden
Der Offizier hat Platz und der Autor die Schere genommen

 

Zitternd und bebend griff ich zur Scheere, denn mir als gewesener Gefreiter war die Subordination zur zweiten Natur geworden. Ich knipste und schnipste an seinem Haar herum. Es war ein widerspänstiges Gewächs wie aufgerollter Draht, und ich mußte förmlich zuschnappen, um es in die Scheere zu bekommen. Aber was sollte ich machen? Einmal, als ich es schüchtern wagte, dem Herrn Major das Mißverständniß erklären zu wollen, schnitt er mir mit einem Donnerwetter das Wort ab und sah nach der Uhr. „Je nun, sodann!“ dachte ich, drückte die Augen zu und schnitt drauf los, während das allzuwillige Opfer meiner Hauptverschönerungsthätigkeit ungeduldig hin und her rückte, schnaufte und fluchte. Da ging denn nicht alles glatt ab. Stellenweise kam ich sogar bis auf die Haut; als dem ungeduldigen Herrn aber endlich ein halber Schnurrbart in den Schooß fiel, – ich hatte eben, um Schluß zu machen, das äußerste Tipfelchen abschnipseln wollen – fuhr er wüthend empor. „Was zum Teufel machen Sie, Mensch!“ kuranzte er mich und setzte sich den Kneifer auf, denn er war offenbar auch in dieser Hinsicht äußerst kurzsichtig.

 

 

 

 

Tableau! Das Bild, das sich dem Frisirgast im Spiegel bot, war fürchterlich.

 

Der Major steht erschrocken vor dem Spiegel
Der Offizier verlässt wutentbrannt den Laden

 

Aber da er keine Minute Zeit mehr hatte, so begnügte er sich damit, mir einen Rippenstoß zu geben, der mich bis in die Stubenecke spedirte, während er sich den Helm so tief wie möglich auf den Kopf drückte. Er lief zur Thür, kehrte aber wieder um, schnitt sich auch auf der anderen Seite den halben Schnurrbart weg, wobei er zehn Flaschen umriß und zertrümmerte. Dann stürmte er hinaus, mir mit der Faust drohend. Sein Fluchen war drei Straßen weit zu hören.

 

In diesem Augenblick betrat der wirkliche Inhaber des „schneidigen“ Instituts durch eine Hinterthür den Laden und sah die saubere „Bescheerung“ . Auf welche Weise ich dann zur Thür hinaus gekommen bin, weiß ich heut nicht mehr, aber mein moralischer Muth ist seitdem geringer als je zuvor.

 

Der unfreiwillige Friseur wurde aus dem Laden geworfen